Was Sie heute wissen müssen

Überlastete Ämter | Verschwörter Thor | Allgegenwärtiges Emden

Joachim Braun
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Eine Kolumne von Joachim Braun
| 03.02.2022 06:26 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Das Wichtigste aus der Region, jeden Morgen um 6.26 Uhr zusammengefasst von der Chefredaktion der Ostfriesen-Zeitung.

Es war ein nettes Gespräch. Gestern Mittag rief ein freundlicher Mitarbeiter des Leeraner Gesundheitsamts an, um mir zu sagen, dass mein PCR-Test eine Corona-Infektion ausweise. Gestern, sieben Tage nachdem der Abstrich genommen worden war und fünf Tage, nachdem das Testergebnis dem Gesundheitsamt vorgelegen war. Allerdings hielt sich mein Groll in Grenzen, als der zur Unterstützung der Behörde entsandte Bundeswehr-Soldat mir sagte, dass sie noch rund 900 dieser Anrufe ausstehend hätten und gestern mehr als 250 Omikron-Fälle dazu kamen. Die fünfte Corona-Welle überfordert die für einen solchen Fall völlig unterbesetzten Gesundheitsämter, obwohl sie keine Kontakt-Nachverfolgung mehr betreiben. Ab heute könnte ich mich freitesten, die behördliche Information über meine Erkrankung wird frühestens heute im Briefkasten sein. Irgendwie ist das alles völlig irre, finden Sie nicht?

Und eine Entlastung der Gesundheitsämter ist nicht in Sicht. Gestern wurden aus ganz Ostfriesland fast 800 Neuinfektionen gemeldet, dazu im Landkreis Wittmund zwei Todesfälle. Die Belastung der Intensivstationen ist trotzdem gering (ein Patient in Leer), und wie mir der freundliche Mitarbeiter des Gesundheitsamts berichtete, verlaufe bei den meisten (geimpften) Betroffenen die Infektion erträglich, in etwa so wie eine schwere Erkältung. Nicht alle Angerufenen reagieren im Übrigen zuvorkommend auf den Behördenvertreter. Manche behaupteten, trotz positiven Testergebnis, steif und fest, das sei nicht richtig, sie hätten lediglich eine Grippe. Andere wiederum sind stinksauer über den Anruf und werfen der Behörde Datenmissbrauch vor.

Tatsächlich sind Drohungen gegen Behördenbedienstete inzwischen an der Tagesordnung, bis zu Mordaufrufen, zum Beispiel im offenbar regellosen sozialen Netzwerk Telegram. Laut Polizeiinspektion Cloppenburg/Vechta wurde dort dazu aufgerufen, „die Frau zu überfahren und deren Pferdeställe in Brand zu setzen“. Andreas Ellinger hat deshalb bei ostfriesischen Behörden nachgefragt. „Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landkreises sind schon bedroht worden“, schreibt beispielsweise die Kreisverwaltung Leer. „Meistens handelte es sich um Drohungen mit Worten, gelegentlich sind Beschäftigte aber auch schon tätlich angegriffen worden.“ Die Aussagen beziehen sich allerdings nicht allein auf Corona-Konflikte, sondern auf alle möglichen Themen.

Auch kein Phänomen seit Corona, aber eines, dass in dem Dienst Telegram eine entscheidende Rolle spielt, hat Claus Hock untersucht. Ein Telegram-Nutzer schmiedete von Ostfriesland aus Pläne, die Bundesregierung zu stürzen - und dies ist nur ein Ausfluss der auch in Ostfriesland vorhandenen rechtsextremen Strukturen in Ostfriesland. Der Mann, der sich „Thor“ nennt (und dessen Identität der Redaktion bekannt ist), ist Mitglied in mehr als 60 Gruppen auf Telegram, darunter solchen aus dem verschwörungsideologischen Umfeld, Gruppen rund um die Bauernproteste, aber auch gleich mehreren, deutschlandweit agierenden Gruppen von Reichsbürgern, Neonazis und „Patrioten“. Und er wartet auf den „Tag X“ - und das nicht allein. „Ostfriesland hat traditionell eine gut vernetzte rechte Szene“, sagt dazu Jan Krieger von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus.

Zurück zu Corona. Ziemlich exakt zwei Jahre sind es nun, dass das Virus auch in Deutschland „ankam“. „Lungenkrankheit breitet sich weiter aus – In Deutschland bisher kein Grund für Alarmismus“, so lautete am 23. Januar 2020 eine Überschrift in der OZ, im Artikel war das allererste Mal von „Coronavirus“ die Rede. Tobias Rümmele, der die Anfänge der Pandemie beschreibt, hat dazu auch mich befragt. Und vielleicht gilt auch für viele andere mein Fazit: „Im Rückblick waren wir völlig naiv.“ Erinnern Sie sich? Als am 2. März die erste Infektion in Niedersachsen nachgewiesen wurde, ging es los mit den Hamsterkäufen von Klopapier und Nudeln, am 5. März gab es den ersten Fall in Ostfriesland, und am 17. März trat der erste bundesweite Lockdown in Kraft. Und wir alle dachten damals, bis Herbst wird der Spuk wohl vorbei sein. Falsch gedacht.

Kontrovers diskutiert wurde in den vergangenen Tagen das (Fehl-)Verhalten von Dr. Hans-Jürgen Wietoska, Ärztlicher Direktor am Klinikum Leer, der aus einer Schlange von auf ihre Impfung Wartenden ein paar Bekannte (Privatpatienten) rauszog und sie bevorzugt impfte. Diese Gefälligkeit lässt sich (wie sonst schon mal die Besserbehandlung von Privatversicherten) in keiner Weise begründen, wie Andreas Ellinger erfragt hat. Bei Corona sind nämlich alle gleich, und für Impfkosten werden die gesetzlichen Krankenkassen herangezogen, nicht die Privatkassen, wie die AOK, das Landes- und das Bundesgesundheitsministerium feststellen. Kollege Ellinger hat dazu auch Landrat Matthias Groote, als Vertreter des Eigentümers des Klinikums, ein paar Fragen gestellt. Der aber hat, wie so oft, wenn es heikel wird, nicht geantwortet.

Dass der Klimawandel auch für Ostfriesland wegen des ansteigenden Nordsee-Spiegels massive Veränderungen bringen wird, steht fest. Und das nicht in der Zukunft, sondern schon jetzt. Michael Hillebrand hat sich mit dem Bauern Marten Alberts-Tammena aus Hinte unterhalten. Sein Problem: Die von seiner Familie seit 200 Jahren bewirtschafteten Flächen liegen so tief, dass sie wegen des hohen Grundwasserstandes teilweise schon jetzt nicht mehr genutzt werden können. Und das ist nicht allein Alberts-Tammenas Problem. Die Befürchtung: In spätestens 50 Jahren wird es nicht mehr möglich sein, in Ostfriesland zu sielen.

Kennen Sie die Stadt mit einem Buchstaben? Klar kennen Sie die: „M“, lang gesprochen oder auch amtlich Emden. Emden steckt vielerorts mit drin, wie Claus Hock herausgefunden hat. Nicht nur in einem Kriegsschiff und in vielen Straßennamen, auch in der Tiefsee, in Amerika und auf dem Mond. Aber lesen Sie selbst.

Was heute wichtig wird:

  • Immer mehr Fleischereien schließen. Ein Anlass für Reporterin Vera Vogt mit Fleischerobermeister Markus Leggedör über die Zukunft des Handwerks zu reden. Wollen die Leute Qualität statt Billigfleisch? Ist der Vegetarismus das Ende?
  • Der Bericht über Heinrich Boekhoff aus Hollen, der coronainfiziert nicht zu seiner sterbenden Frau durfte, hat viele bewegt. So ein Schicksal kann jeden treffen, jederzeit. Müsste es für solche Fälle nicht einen Plan B geben? Christine Schneider-Berents berichtet.
  • Ole Cordsen erzählt, wie das Malheur eines Studienkumpels einen jungen Schwaben dazu brachte, ausgemusterte Krankenwagen nach Portugal und Nordafrika zu verscherbeln, so sein Studium zu finanzieren – und nun in Schirum neue Krankenwagen zu bauen.
  • Stattliche 30 Verhandlungstage sind angesetzt. Heute geht es am Landgericht Aurich los: Zwei 27 und 22 Jahre alten Niederländern wird Drogenhandel im großen Stil vorgeworfen. Bettina Keller berichtet.
  • Immer mehr Menschen sind während der Pandemie zu Tierhaltern geworden. Das bringt auch mehr Arbeit für die Amtsveterinäre: Die bekommen zunehmend Hinweise auf schlechte Haltungen bei Hunden und Katzen. Susanne Ullrich berichtet.
  • Was tun, wenn man auf Reisen positiv auf Corona getestet wird, man sich unverzüglich in Isolation zu begeben, aber kein Dach über dem Kopf hat? Gordon Päschel erklärt, was man im Fall der Fälle beachten muss.
  • Im Februar fasten viele Menschen - sie verzichten auf Genussmittel oder hören ganz mit dem Essen auf. Was bringt das? Wer darf eigentlich fasten? Was passiert da im Körper? Mona Hanssen spricht mit Expertinnen.
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