Frankfurt/Main (dpa)

Nächste Chance für ewigen Löw: DFB behält Baustellen

Nils Bastek und Klaus Bergmann, dpa
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Von Nils Bastek und Klaus Bergmann, dpa
| 01.12.2020 05:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Mit der Rückendeckung für Joachim Löw geht der DFB ins Risiko. Denn mit dem Bundestrainer bleiben vielen Baustellen. Die bröckelnde Akzeptanz in weiten Teilen der Fanszene scheint eine der größten zu sein. Und was, wenn der erhoffte Aufwärtstrend ausbleibt?

Mit der nächsten letzten Chance für den ewigen Joachim Löw nimmt der DFB die Baustellen des Bundestrainers mit ins nächste Jahr.

Am Tiefpunkt der Stimmung rund um die deutsche Nationalmannschaft darf der 60-Jährige seinen streitbaren „Weg der Erneuerung“ ungehindert fortsetzen - ein wohl kalkuliertes Risiko mit ungewissem Ergebnis. Während die Ex-Weltmeister Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng weiter außen vor bleiben dürften, braucht der Deutsche Fußball-Bund dringend Ergebnisse. Die Monate bis zur EM 2021 werden lang. Und die Probleme nicht kleiner.

WELTMEISTER-TRIO

„Ich freue mich, dass Jogi weitermachen darf. Er hat sich dieses Vertrauen in der Vergangenheit verdient“, sagte Boateng der „Bild“-Zeitung. Ob er wirklich so glücklich darüber war, bleibt vorerst sein Geheimnis. Zusammen mit Bayern-Teamkollege Müller sowie Hummels (Borussia Dortmund) steht der Triple-Gewinner sinnbildlich für Löws schleppenden Neuanfang nach der schmachvollen WM 2018. Nun stimmte der DFB aber Löw zu, dass die WM 2022 und die EM 2024 „bereits zum jetzigen Zeitpunkt in den weiteren sportlichen und personellen Überlegungen eine Rolle spielen müssen“. Das liest sich wie eine weitere Absage an das erfahrene Weltmeister-Trio.

Die Fragen nach einem Comeback der in ihren Vereinen überzeugenden Routiniers werden spätestens dann wieder aufflammen, wenn die März-Länderspiele in der WM-Qualifikation nicht absolut überzeugend verlaufen. Zeit für Experimente hat Löw nicht mehr. Die Quali-Gegner werden bei der Auslosung am kommenden Montag (7. Dezember) ermittelt, wegen der Corona-Pandemie digital. Löw muss deshalb nicht in die Schweiz reisen - und kann sich einem weiteren öffentlichen Auftritt entziehen.

Immerhin: Wie auch der DFB in seinem Löw-Bekenntnis lobend erwähnte, ist Deutschland in Topf 1 gesetzt. Die richtig starken Gegner wie Spanien, England und Frankreich drohen deshalb nicht. Ein weiteres Debakel in einem Pflichtspiel wie beim 0:6 zuletzt in Spanien wird dadurch unwahrscheinlicher.

FAN-INTERESSE

Doch der enge Zeitplan erhöht das Risiko für den DFB und Löw. Es bestehe „die feste Überzeugung“, dass Löw und sein Trainerteam „trotz einer für alle herausfordernden Situation erfolgreiche Spiele und Ergebnisse liefern werden“, teilte der DFB nach einer Telefonschalte des Präsidiums mit. Und wenn nicht? Noch einen Rückschlag wie das frühe Aus bei der WM 2018 kann sich Löw, kann sich der DFB nicht leisten. Es geht auch um die Gunst des Publikums. Die geringen TV-Einschaltquoten zuletzt dürften als Warnsignal gelten - auch für den für die Nationalteams verantwortlichen DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Zwar bleiben Löw nun mehrere Monate, um in aller Ruhe im Breisgau die ersehnte Aufbruchstimmung vorzubereiten. Der in sich gekehrte Bundestrainer fiel bislang jedoch nicht als großer Motivator auf.

Vor der EM folgen noch zwei weitere Testspiele in der unmittelbaren Turniervorbereitung. Geht der erneute Neustart unter dem Ewig-Bundestrainer schief, würde das bei den Fans die Lust auf die EM-Vorrundenspiele daheim gegen Frankreich, Portugal und Ungarn im Juni 2021 in München schmälern. Löw muss liefern.

KADER

Seine Hoffnungen ruhen nun umso stärker auf den Säulen seines Teams. Seine wenigen verbliebenen Weltmeister wie Manuel Neuer oder Toni Kroos sollen die Mannschaft tragen. Joshua Kimmich als weiterer zentraler Baustein in Löws Kadergerüst wird nach seiner Meniskus-OP noch einige Wochen ausfallen. Weitere wichtige Spieler wie Leon Goretzka bewegen sich angesichts des XXL-Kalenders der Topclubs schon jetzt an der Belastungsgrenze. Im Angriff sind die ebenfalls mehrfach belasteten Timo Werner, Serge Gnabry und Leroy Sané gesetzt.

Dass Löw trotz allem derzeit formstarken Ex-Nationalspielern wie etwa Max Kruse eine Chance gibt, scheint genauso ausgeschlossen wie eine Rückkehr von Boateng, Hummels oder Müller. Auch das gehört seit Jahren zum Weg von Joachim Löw, der nie allein nach dem Leistungsprinzip, sondern gerade mit Blick auf die Turniere auch nach dem aus seiner Sicht besten Kadergefüge nominiert hat. Der DFB weiß das, und er unterstützt mit seiner Rückendeckung bewusst auch diese Eigenschaft des Bundestrainers.

„Der Bundestrainer wird alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um mit der Mannschaft eine begeisternde EM 2021 zu spielen“, hieß es. Der WM-Titel 2014 hat dem hoch verdienten Löw recht gegeben. Aber dieser Erfolg ist über sechs Jahre her. Löw müsse seinen Spielern die unbedingte Leidenschaft vermitteln, forderte sein einstiger Weltmeister-Kapitän Philipp Lahm zuletzt in der „Sport Bild“. Der Bundestrainer bekommt nun eine weitere Chance.

© dpa-infocom, dpa:201130-99-523195/4

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