70 Jahre OZ

Als die OZ ihn nicht wollte, wurde er zum Kommunisten

Franz Sommerfeld
|
Von Franz Sommerfeld
| 09.10.2020 00:00 Uhr | 1 Kommentar | Lesedauer: ca. 3 Minuten
Artikel hören:
Artikel teilen:

Franz Sommerfeld stammt aus Ostfriesland und bewarb sich 1970 um ein Volontariat bei der OZ. Er wurde abgelehnt – und dennoch Chefredakteur bei verschiedenen Zeitungen in Deutschland.

Leer - Hätte die Ostfriesen-Zeitung 1970 meine Bewerbung um ein Volontariat nach absolviertem Hebraicum und einigen Semestern evangelischer Theologie angenommen, wäre mein Lebensweg wohl anders verlaufen und ich hieße vielleicht noch Hutzfeldt wie damals. Doch sie lehnte ab, und ich stürzte mich in die schon auslaufende Studentenbewegung.

Bis heute ist die Ostfriesen-Zeitung für mich das Urbild einer Zeitung geblieben. Seit ich lesen konnte, studierte ich sie nach der Schule auf dem Bett meiner Großmutter, weil sie dort am leichtesten auszubreiten war. Diese Neugier auf Neues habe ich mir bis heute erhalten.

Durch die Ostfriesen-Zeitung erfuhr ich, dass die mit dreifachem Sirenenton alarmierte Freiwillige Feuerwehr den Brand im Spanplattenwerk Connemann auf der Nesse noch immer nicht vollständig gelöscht hatte, wann die Umgehungsstraße von der Kreuzung Spier bis zur Heisfelder Straße endlich eröffnet wurde und wie viele zum Anschwimmen ins „Strandbad“ an der Georgstraße gekommen waren. Sie prangerte das Verhalten von rauchenden und lärmenden Gymnasiasten an, die im Café Maurer Hausverbot erhielten. Dass der Direktor des Gymnasiums für Jungen einem Schwarzen den Zutritt zum Abi-Ball verbot, berichtete sie allerdings erst nach der Bild-Zeitung. Spannend geriet auch der mit Beleidigungen gespickte Streit zweier Möbelmärkte, den sie auf ganzseitigen Anzeigen austrugen.

Mein Klassenlehrer Wolf, Lupus genannt, lobte die Kommentare von Redakteur Gösmann, der oft mit dem Kürzel sma unterzeichnete. Gösmann war durch und durch konservativ. Aber die politische Ausrichtung nahm ich erst ab Mitte der Neunzehnhundertsechziger stärker wahr, wenn ich mir gelegentlich den „Spiegel“ oder die „Zeit“ kaufte und einen deutlich anderen Ton im Umgang mit Vietnamkrieg oder Notstandsgesetzen bemerkte.

So war es auch in der Familie. Und die Ostfriesen-Zeitung gehörte dazu. Heute in Berlin bedeutet sie für mich Heimat. So wünsche ich, dass ihr der Wechsel in die digitale Zukunft gelingt.

Franz Sommerfeld ist ziemlich genau ein Jahr älter als die OZ. Er wuchs in Leer auf als Franz Hutzfeld, studierte in Mainz evangelische Theologie, wurde Kommunist und verantwortete mehrere marxistische Zeitungen. Nach der Wende arbeitete er beim „Freitag“ und ging zur „Berliner Zeitung“, wo er 1997 stellvertretender Chefredakteur wurde. Zwei Jahre später dann wurde er Chefredakteur in Halle bei der „Mitteldeutschen Zeitung“ und ein weiteres Jahr später des „Kölner Stadt-Anzeigers“. Von 2009 bis zu seinem Ruhestand 2014 war er im Vorstand der Mediengruppe DuMont Schauberg in Köln. 2007 wurde er vom Medium Magazin zum „Chefredakteur des Jahres“ gewählt. Heute lebt er als aufmerksamer Beobachter des Zeitgeschehens in Berlin.

Ähnliche Artikel