70 Jahre OZ

Rudolf Onnen – wer ist der Mister Leserbrief der OZ?

Andreas Ellinger
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Von Andreas Ellinger
| 09.10.2020 00:00 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 8 Minuten
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Rudolf Onnen aus Moormerland ist ein rekordverdächtiger Leserbriefschreiber. Dabei ist er ein Spätberufener, der allerdings früh aufsteht: Bis 9 Uhr ist sein Leserbrief in der Regel geschrieben.

Moormerland - Wer schreibt regelmäßig in der Ostfriesen-Zeitung (OZ), ist aber kein Redakteur und auch kein Freier Mitarbeiter? Das sind die Leserbriefschreiber. Einer der fleißigsten von ihnen ist Rudolf Onnen aus Moormerland. Der 65-Jährige ist ein Spätberufener. Ausweislich des elektronischen OZ-Archivs hat er erst am 18. Oktober 2018 angefangen – und wie! Mehr als 60 Leserbriefe sind zu finden.

Erweitert man die Suche auf die ganze ZGO Zeitungsgruppe Ostfriesland GmbH, dann sind es sogar fast doppelt so viele. Denn Onnen hat die OZ im Abo und kauft sich die Ostfriesischen Nachrichten (ON) täglich im Laden, wie er erzählt. Und das seien nicht die einzigen Tageszeitungen, in denen er Leserbriefe veröffentlicht habe. Aber in der OZ und den ON schreibt er am häufigsten. Auch die ON hätte er übrigens gerne abonniert. Doch sie werde in Moormerland per Post zugestellt, sagt er – dann komme sie erst nachmittags. Das ist ihm zu spät.

Leserbrief ist in der Regel bis 9 Uhr fertig

Seine OZ liest Onnen Sommers über schon in aller Herrgottsfrühe: um fünf. Die ON folgen nach acht Uhr. Früher gehe nicht, erläutert er, weil das Zeitungsgeschäft erst dann öffne. Bis 9 Uhr habe er in der Regel seinen Leserbrief fertig, sofern er einen schreibe. Außer den veröffentlichten Werken habe er bestimmt noch 50 bis 60 weitere geschickt, die nicht gedruckt worden seien, schätzt er. Und weitere hätten nie seinen Computer-Speicher verlassen. Nämlich dann, wenn sie seinen abschließenden Fakten-Check nicht bestanden hätten oder er sich im Ton vergriffen habe.

Im Unterschied zu vielen anderen regelmäßigen Leserbriefschreibern hat Onnen kein Schwerpunktgebiet. Okay, zum Zentralklinikum hat er sich wiederholt geäußert. Aber er teilt seine Meinung auch zu Verkehrsfragen, der Wohnraumsituation, der Landwirtschaft, dem Klimawandel und der Gewerbesteuer-Lage mit. Er schreibt zudem über Parkplätze, Fußball-Bundestrainer Jogi Löw, Wölfe, Beamten-Pensionen, Schottergärten, die blaue Papier-Tonne, die Sitzordnung des Auricher Kreistags, Donald Trump und die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen – und über vieles andere mehr.

Themen sind häufig die Verwendung öffentlicher Mittel

Besonders am Herzen liegt ihm aber die Verwendung öffentlicher Mittel. Onnen hat den Eindruck, dass Politiker häufig zu sorglos mit dem Geld umgehen, das nicht ihres ist, sondern das der Bürger. Das betreffe beispielsweise das Zentralklinikum, das in Georgsheil gebaut werden und die Krankenhaus-Standorte Emden, Aurich und Norden vereinen soll. Der Moormerländer, der in Friedeburg geboren wurde und bis vor einigen Jahren im Landkreis Aurich gewohnt hat, rechnet mit gehörigen Kostensteigerungen. Aussagen eines Staatssekretärs zu diesem Vorhaben habe er mal als Grundlage für eine eigene Hochrechnung genommen, sagt er. Deren Ergebnis: 700 Millionen Euro.

Onnens Credo: Man brauche Wirtschafts-Fachleute für Großprojekte, die unabhängig von der Parteipolitik handeln. Selbst wenn so ein Verwaltungsmitarbeiter 100 000 Euro im Jahr koste, sei das wesentlich billiger als eine Preis-Explosion, wie es sie bei vielen Vorhaben gebe. Ein Fehler im System sei, dass Politiker die Regeln selbst festlegen könnten, die es ihnen erlaubten, Schulden aufzunehmen.

Onnen arbeitete früher in der „Schule der Nation“

Jemand der thematisch so breit aufgestellt ist, kann in den Verdacht geraten, ein pensionierter Lehrer zu sein. Rudolf Onnen hat ein Berufsleben lang in der „Schule der Nation“ gearbeitet, bei der Bundeswehr. Der Hauptmann war unter anderem als Personaloffizier in zwei Bataillonen eingesetzt. Privat scheint er vom Drill allerdings nicht so viel zu halten.

Das Ehepaar Onnen hat zwei Töchter und drei Enkelkinder. „Meine Enkel dürfen machen, was sie wollen“, erzählt der Großvater. Mit einer Einschränkung: „So lange sie sich dabei nicht selbst gefährden.“ Dem Opa ist die freie Entfaltung der Kinder derart wichtig, dass er dafür auch schon einen Tadel der Eltern in Kauf genommen hat. Der ehemalige Berufssoldat passt folglich so gar nicht in irgendeine sprichwörtliche Schublade.

Onnen beschäftigt sich in seinen Leserbriefen mit ganz unterschiedlichen Themen

Seine Leserbriefe sind facettenreich, Onnen weiß inhaltlich immer wieder zu überraschen. Einerseits hat er beispielsweise die Bedürfnisse der Landwirte im Blick, wenn es um die Forderung nach Naturschutz-Streifen entlang von Gewässern geht. Was in anderen Teilen der Republik sinnvoll sei, könne nicht auf das von Kanälen, Wieken und Gräben durchzogene Ostfriesland angewendet werden, findet er. Andererseits ist ihm der Artenschutz wichtig. Stichwort Insektensterben: „Vor 20 Jahren musste man im Sommer jeden Tag die Windschutzscheibe reinigen“ – heutzutage sei das oft über Wochen hinweg nicht nötig. Im eigenen Garten hat er deshalb Blumen gesät. Allerdings ist Onnen der Überzeugung: „Die großen Tiere sterben eher als die kleinen“ – die Menschen inklusive. „Die Welt geht nicht unter, wir entsorgen nur unsere Lebensgrundlage.“

Verschiedene Aspekte eines Themenkomplexes zu betrachten, so wie Rudolf Onnen das im Spannungsfeld zwischen Landwirtschaft und Artenschutz tut, das ist ein Grundprinzip des Leserbriefschreibers: „Man muss das alles ins Verhältnis setzen.“ Die Perspektive, die er dabei einnimmt, ist die eines kritischen Beobachters: „Ich sehe das distanziert.“

Politisch ordnet sich der Vielschreiber im „Zentrum“ ein

Mitglied einer politischen Partei sei er nie gewesen, sagt Onnen: „Ich bin nur in der ,Ostfriesischen Heimat‘ heimisch geworden. Politisch ordnet er sich im „Zentrum“ ein. Die CSU stuft er als „Mitte – leicht rechts“ ein, die CDU als „Mitte – ganz leicht links“. FDP, SPD und Grüne zählt er ebenfalls zur Mitte. Die Unterschiede zwischen diesen Parteien seien „relativ marginal“ geworden: „Heute ist ja sogar Söder grüner als manche Grüne“, sagt er über den bayerischen CSU-Ministerpräsidenten. Allein „Die Linke“ sei als einer Art „bessere SPD“ links der Mitte, erklärt Onnen – und die AfD „ganz rechts außen“.

Einer, der so häufig Leserbriefe schreibt wie er, der trägt – so könnte man vermuten – einiges an Ärger in sich. Doch weit gefehlt. Im Gespräch mit der OZ machte der Ruheständler einen tiefenentspannten Eindruck: „Man sollte alles etwas gelassener angehen und es nicht so verkniffen sehen.“

Onnen freut sich in einem Land zu leben, in der er seine Meinung kundtun kann

Wohlgemerkt könnte er Leserbriefe derzeit nicht einmal als mögliches Ventil nutzen. Aufgrund eines Wasserschadens in der Wohnung musste das Ehepaar Onnen nämlich für die Dauer der Sanierungsarbeiten in ein Ferienhaus umziehen – und dort ist die Internet-Verbindung des Laptops offenbar instabil. Marlene Onnen verrät allerdings: „Wenn er seine fünf Minuten hat, dann schreibt er! Da ist es egal, ob das durchläuft oder nicht …“

Was damit gemeint sein könnte, das ist zu erahnen, wenn Rudolf Onnen auf die selbst ernannten „Querdenker“ in der Corona-Krise zu sprechen kommt. Bei einer entsprechenden Demonstration in Berlin habe ein Demonstrant gesagt, dass er dagegen demonstriere, dass er nicht demonstrieren dürfe. „Das ist sowas von unlogisch“, sagt Onnen und betont: „Wir können froh sein, dass wir in Deutschland leben und unsere Meinung kundtun können!“

Erinnerungen an den ersten Leserbrief sind noch frisch

An seinen ersten Leserbrief kann sich Rudolf Onnen noch gut erinnern. Den habe er „vor sieben oder acht Jahren“ geschrieben, schätzt er: „Es gab mal eine Zeit, da ist in Ostfriesland Schnee gefallen.“ Und damals seien manche Nebenstraßen nicht geräumt worden. Als die Eisschicht vor dem Haus einer seiner Töchter fast zehn Zentimeter dick gewesen sei, habe er gefordert, dass endlich ein Räumfahrzeug kommt.

Warum es danach noch Jahre gedauert hat, bis Onnen sich regelmäßig zu Themen äußerte, das kann er selbst nicht erklären. Es sei auch keinem besonderen Erlebnis oder Anlass geschuldet gewesen, dass er seit 2018 viele Leserbriefe schreibe. Dass er aktiv geworden ist, hat damit zu tun, dass er sich mehr bürgerliche Beteiligung wünscht: „Es ist eigentlich bedauerlich, wie viele Menschen passiv sind“, findet Onnen. Das habe ihn früher schon als Elternvertreter in der Schule gestört. Mit seinen Leserbriefen will er etwas aufrütteln, zur Diskussion anregen, andere aus der Reserve locken.

Wann Onnens Rechnung aufgeht

Rund zehn Mal habe sich nach einem Leserbrief jemand bei ihm gemeldet, weil er derselben Meinung gewesen sei, berichtet Rudolf Onnen. Zwei, drei Mal habe er ein negatives Feedback erhalten. Und auf zwei seiner Leserbriefe hin sei ein „Contra-Leserbrief“ gekommen. Onnen findet das gut. Er hat aber nicht das Bedürfnis, dann zu erwidern. Denn seine Meinung stehe ja schon im ersten Leserbrief.

Mit der Längenbegrenzung der Meinungsäußerung – 1500 Zeichen sind die Obergrenze eines OZ-Leserbriefs – kämpfe er allerdings manchmal, berichtet Onnen. „Dadurch kann man nur ein oder zwei Aspekte herausgreifen.“ Das lasse den Text manchmal „unvollständig oder einseitig erscheinen“. Dass sich die für ihn feststellbaren Reaktionen auf seine Leserbriefe zahlenmäßig in Grenzen halten, stört den Moormerländer nicht – ganz im Gegenteil. Er macht folgende Rechnung auf: Bei einer Auflage von 30 000 Exemplaren gehe er davon aus, dass die OZ ungefähr von 45 000 Personen gelesen werde. Falls davon zehn Prozent seine Leserbriefe zur Kenntnis nähmen, seien das 4500 Leute. Rudolf Onnen: „Wenn nur jeder Zehnte sich Gedanken darüber macht – egal, ob positiver oder negativer Art – dann hat man schon etwas bewegt.“

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