70 Jahre OZ

OZ-Geschäftsführer: Die Leser müssen für uns im Mittelpunkt stehen

Joachim Braun
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Von Joachim Braun
| 09.10.2020 00:04 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 10 Minuten
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Im Interview spricht OZ-Geschäftsführer Robert Dunkmann über den digitalen Wandel in der Branche und bei der Ostfriesen-Zeitung, die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die kommende Generation.

Leer - Robert Dunkmann, 55, Verleger in fünfter Generation, ist leidenschaftlicher Zeitungsmann. Als einer von vier Gesellschaftern der Zeitungsgruppe Ostfriesland brachte der Auricher 2009, als er in die Geschäftsführung einstieg, die Ostfriesischen Nachrichten in die Firma mit ein. Vor drei Jahren riefen die Eigentümer unter seiner Federführung die „digitale Revolution“ aus. Sie bedeutet einen tiefen Einschnitt für die Ostfriesen-Zeitung, das Flaggschiff der Gruppe, und ist eine Reaktion auf den schnellen Medienwandel, dem die Zeitungsbranche unterliegt. Anlässlich des 70. Geburtstags der OZ stellte sich Dunkmann zum Interview mit Chefredakteur Joachim Braun (54), der vor knapp zwei Jahren nach Leer-Logabirum kam.

OZ: Herr Dunkmann, nehmen wir mal an, Sie treffen beim Einkaufen in Leer einen Neubürger, der Sie fragt, welche Zeitung man in Ostfriesland lesen sollte. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie ihn für die OZ?

Dunkmann: Wenn er sich für Ostfriesland interessiert, und das setzt die Frage ja voraus, wird er in der OZ über alles informiert, was für ihn wichtig ist, also über Themen wie Wohnen, Arbeitsplätze oder Infrastruktur, über das Vereinsleben, über Veranstaltungen, über politische Entscheidungen ...

OZ: ... Und dafür soll er im Moment 40 Euro ausgeben?

Dunkmann: Wenn er es gedruckt haben möchte, ja. Ansonsten bieten wir ja auch das E-Paper an oder das Internet-Abo. Die sind wesentlich günstiger.

OZ: Bieten Sie ihm dann eher das E-Paper an oder die gedruckte Zeitung oder das Internet-Abo?

Dunkmann: Das hängt natürlich von den persönlichen Vorlieben ab. In meinem Alter schwankt man ja zwischen E-Paper und Print. Ich würde das E-Paper bevorzugen, weil ich es schon am Vorabend ab 19.30 Uhr lesen kann und damit schon eher informiert bin.

Reichweite so groß wie noch nie

OZ: Schmerzt Sie, dass die gedruckte Zeitung an Auflage verliert?

Dunkmann: Das müssen wir akzeptieren. Das ist so und angesichts dessen, wie rasant sich unsere Gesellschaft in den vergangenen Jahren verändert hat, unvermeidlich. Das heißt aber nicht, dass die Menschen weniger an Informationen interessiert sind. Das zeigen ja auch die sozialen Medien, die ein Informationsbooster sind. Wir müssen natürlich fragen, ob das gut ist oder schlecht. Fakt aber ist, die Menschen verbringen viel mehr Zeit mit Medien als früher. Zwar sind die Abonnenten der gedruckten Zeitung weniger geworden, aber die Zeit, die sie mit ihrer Zeitung verbringen, schrumpft trotz der großen Konkurrenz im Medienmarkt nicht. Insgesamt ist die Mediennutzung gewachsen.

OZ: Summiert man die Reichweite der digitalen Kanäle und der gedruckten Zeitung, dann hat die OZ noch nie so viele Menschen erreicht wie heute ...

Dunkmann: Genau, und das stimmt uns auch positiv für die Zukunft. Wir drucken rund 35 000 Zeitungen am Tag. Multiplizieren Sie das mit 2,7, dann erreichen wir rund 100 000 Leser jeden Tag. Der Onlinebereich ist um das Vierfache größer ...

OZ: ... und trotzdem stecken Sie in einem Dilemma. Die Erlöse schrumpfen, weil Werbung ins Netz abwandert und das Abo-Geschäft im Internet viel schwieriger ist.

Journalismus muss sich beweisen

Dunkmann: Das ist richtig. Das haben wir den Plattformen zu verdanken, Google zum Beispiel. Die sorgen als Gatekeeper, als Türöffner dafür oder eben nicht, wie sichtbar unsere Internetseiten sind und sind darüber hinaus ein technologisch überlegener Wettbewerber im Werbemarkt. Ich erinnere mich an eine Zeitung, die ich früher mal mit Begeisterung gelesen habe, die Deutsche Autozeitung DAZ. Die steckte voller Anzeigen für Gebrauchtwagen. Dank entsprechender Internet-Plattformen ist die DAZ längst vom Markt verschwunden.

OZ: Mit diesem Zustand müssen wir leben. Aber ist das das einzige Problem? Müssen wir uns nicht vielleicht die Frage stellen, ob wir in den vielen Jahrzehnten, in denen das Geschäftsmodell Lokalzeitung perfekt funktionierte, inhaltlich unattraktiv geworden sind? Die Zeiten, in den man eine Zeitung haben musste, weil nur was in der Zeitung stand, auch stattgefunden hatte.

Dunkmann: Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Bis vor 15 Jahren war nur die Zeitung als Informationsmedium relevant. Das hatte uns bequem gemacht. Heute muss sich unser journalistisches Angebot auf dem Markt beweisen und durchsetzen. Das geht nur, wenn es sachlich, ordentlich und korrekt ist. Das ist gar nicht so einfach. Daran arbeiten wir aber permanent, an der bestmöglichen OZ für unsere Kunden.

OZ: Vor drei Jahren haben die Gesellschafter die digitale Revolution ausgerufen. Wie macht sich das im Haus bemerkbar?

Dunkmann: Na ja, zum Beispiel dadurch, dass wir einen neuen Chefredakteur haben, der weiß, wie es geht (lacht), dass wir neue Technik gekauft haben, die den Reportern erlaubt, auch außerhalb der Redaktion ihre Artikel zu schreiben und sie online zu stellen. Dass wir inzwischen alle Artikel zuerst online stellen und sie sozusagen dem Test der Leser unterziehen, hilft uns auch bei der Auswahl der Themen für die gedruckte Zeitung.

Ostfriesen-Zeitung: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass Online-Leser dieselben Interessen haben wie Print-Leser.

Dunkmann: Ja. Das was online funktioniert, funktioniert auch im Print. Umgekehrt gilt das nicht unbedingt ...

OZ: ... weil Sie nicht wissen, was in Print funktioniert. Dort entscheiden ja nicht Zugriffszahlen, sondern das Bauchgefühl der Redakteure.

Dunkmann: Zumindest war das so. Deshalb haben wir ja vor einem Jahr eine Leseruntersuchung gemacht. Seit „Lesewert“ kennen wir nun auch die Erwartungen der Zeitungsleser, und das hat sehr viel an unserer Arbeit geändert.

Glaubwürdigkeit hilft gegen Fake-News

OZ: Die Digitalisierung ist aber nicht nur ein Thema der Redaktion. Sie betrifft das ganze Haus. Was muss da passieren?

Dunkmann: Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht nun mal die Nachricht. Darum hat die Veränderung auch in der Redaktion angefangen. Als nächstes geht es um die Verteilung. Das ist ein sehr komplexes Thema. Im Gedruckten geht es um die Logistikkette von der Druckerei bis zum Abonnenten. Bei den digitalen Kanälen geht es neben der Abonnenten-Gewinnung auch noch um Themen, die wir nicht in der Hand haben, zum Beispiel die Breitbandversorgung und den Handyempfang. Und parallel dazu digitalisieren wir auch unsere Angebote für den Werbemarkt. Da ist die Erwartungshaltung der Kunden durchaus hoch. Heutzutage verkaufen wir keine Anzeigen mehr, sondern Lösungen, die unseren Kunden helfen.

OZ: Das sind die gesetzten Ziele. Werden die auch so umgesetzt, wie Sie sich das wünschen? Immerhin sind die Mitarbeiter seit Jahren an die Abläufe gewohnt, die für die gedruckte Zeitung nötig sind.

Dunkmann: Sie schaffen das nur mit 1. neuen technischen Werkzeugen, 2. damit, dass wir die Mitarbeiter auf dieser spannenden Reise mitnehmen, in dem wir transparent sind und schulen, schulen, schulen. Viele Mitarbeiter sind sehr onlineaffin, aber immer auf der Kundenseite. Dass sie jetzt auf die Anbieterseite müssen, verunsichert doch viele. Die Prozesse sind tatsächlich schwierig.

OZ: Wie lange haben Sie denn Zeit für die Transformation?

Dunkmann: Bis wir fertig sind (lacht). Vor 15 Jahren haben wir angefangen, und wir sind noch lange nicht fertig. Unser altes Geschäftsmodell hat 150 Jahre funktioniert. Anders formuliert: Wir haben 150 Jahre dasselbe Auto gebaut. Und jetzt kommt jemand und sagt: Nun bauen wir ein anderes Auto. Da lautet die erste Frage: Warum? Meine Frage an die Mitarbeiter lautet dann gerne, ob sie die OZ auch abonniert hätten, wenn sie nicht hier arbeiteten. Gerade Jüngere sagen, wenn sie ehrlich sind, nein. Und dann diskutieren wir darüber, wie die Ostfriesen-Zeitung stattdessen aussehen müsste. Im Übrigen bedeutet Digitalisierung, ständig im Beta-Status zu sein und niemals fertig zu werden.

OZ: Das, was uns von anderen Medien, gerade den sozialen Medien, unterscheidet, ist Glaubwürdigkeit. Wie wichtig ist die für Sie?

Dunkmann: Ganz wichtig. Wir alle werden permanent mit Fake-News bombardiert. Da ist es wichtig, dass sich die Leser darauf verlassen können, dass das, was wir schreiben, stimmt.

OZ: Trotzdem befindet sich der Journalismus laut Umfragen in einer Vertrauenskrise. Es gibt tatsächlich Menschen, die glauben, dass die Regierung oder andere finstere Mächte steuern, worüber und was wir berichten. Haben Sie da eine Lösung?

Corona: Mehr Leser, weniger Werbeerlöse

Dunkmann: Tatsächlich ist das schwierig. Viele Fake-News werden ja vielfach nur deshalb als richtig empfunden, weil sie genau in das Meinungsbild passen, weil man sich bestätigt fühlt. Nehmen Sie Facebook. Dort tummeln sich viele Menschen in Filterblasen. Bei uns hingegen gibt es diese Blasen nicht. Wir bringen auch keine Berichte, die bewusst falsch sind oder ehrabschneidend.

OZ: Kommen wir auf die ökonomische Situation zurück: Wir sprachen über sinkende Erlöse und steigende Aufwände für neue Technologien, für Schulungen und für Spezialisten. Wie soll denn ein kleiner Verlag wie unserer dies stemmen?

Dunkmann: Auf jeden Fall, in dem wir unsere Leser in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen. Was unsere Kunden erwarten, weshalb sie unsere Produkte kaufen, das ist für unsere Arbeit das Entscheidende. Wir haben keine Reichtümer auf der Bank, das heißt, wir müssen unsere Investitionen aus dem laufenden Geschäft heraus erwirtschaften. Bisher gelingt uns das noch ziemlich gut. Mir ist da nicht bang.

OZ: Ausgerechnet in dieser schwierigen Umbruchsituation kam jetzt auch noch Corona. Wie sehr hat die Pandemie die OZ getroffen?

Dunkmann: Sehr. Gerade unser regionaler Werbemarkt ist stark eingebrochen. Geschäfte, die geschlossen sind, brauchen keine Anzeigen zu buchen und verteilen auch keine Prospekte. Das hat sich inzwischen etwas gebessert, auch dadurch, dass wir keine Kurzarbeit gemacht haben, und unsere Kundenberater ständig im Gespräch mit den Unternehmen haben. Auf der anderen Seite waren wir in der Krise sehr erfolgreich auf dem Lesermarkt. Die Leute wünschen sich, das hat die Pandemie ganz deutlich gemacht, seriöse Informationen. Das heißt, der Rückgang bei den gedruckten Zeitungen ist geringer als in den Jahren zuvor. Das E-Paper, aber auch unser Digital-Abo haben ganz stark zugelegt.

Solidarpakt anstelle von Kurzarbeit

OZ: Sie haben Kurzarbeit erwähnt. Der einzige Zeitungsverlag, von dem ich noch weiß, dass es keine Kurzarbeit gab, ist die Frankfurter Allgemeine. Warum haben Sie auf Geld vom Staat verzichtet?

Dunkmann: Aus ganz grundsätzlichen Erwägungen. Seit Jahrzehnten betonen wir Zeitungsleute, dass wir unabhängig sind, dass wir keiner Beeinflussung von Seiten des Staates unterliegen, und dann, wenn wir Not haben, rufen wir ausgerechnet nach dem Staat und nehmen Geld. Das nagt an unserer Glaubwürdigkeit, deswegen war ich strikt dagegen. Natürlich war unsere wirtschaftliche Situation auch schwierig. Am Anfang hatte ich mit minus fünf Millionen bei den Werbeerlösen gerechnet, das wäre ein Einbruch um 50 Prozent gewesen. Da haben aber auch meine Mitgesellschafter großes Engagement für das Haus gezeigt. Und wir haben einen Solidarpakt ins Leben gerufen. Befristet auf drei Monate sollte, wer konnte, seine Arbeitszeit reduzieren und damit auf Gehalt verzichten. Das hat gut funktioniert. Rund 90 Prozent der Mitarbeiter haben mitgemacht. Wie ich es immer sage: Wir sind eine große Familie, da hält man zusammen. In guten wie in schlechten Zeiten.

OZ: Apropos Familie. Sie sind 55 Jahre alt, Sie haben also noch ein bisschen. Aber danach? Bleibt die Zeitungsgruppe Ostfriesland ein familiengeführtes Unternehmen? Ihre älteren Mitgesellschafter haben ja den Generationswechsel schon vollzogen.

Dunkmann: Das weiß man natürlich nie. Aber ich habe zwei Söhne, einer 24 und einer 15 Jahre alt. Der Ältere hat gerade seine Ausbildung zum Medienkaufmann abgeschlossen. Das Interesse ist also vorhanden. Ich bin darum optimistisch, was die sechste Generation Dunkmann betrifft.

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