70 Jahre OZ

Kickst du noch up Klock, of all up de Uhr?

Karin Lüppen
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Von Karin Lüppen
| 09.10.2020 00:00 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Wat maaken wi Oostfreesen ut uns Platt? OZ-Redakteurin Karin Lüppen hett sück dor Gedanken over maakt.

Sönndagsabends sitt ick meesttieds mit mien Tablet vör de Kiekkast. Tatort ohn Twitter, dat gifft dat för mi neet mehr. Man dor lees ick smaals, dat Lü bi de Sendungen ut Wien of ut München glattweg Unnertitels hebben willen. Denn verstaah ick de Welt neet mehr: In disse Films proten se doch al Hochdütsch! Deen de rechtschaapen Wiener of Münchner Dialekt proten, wat weer denn woll up Twitter unner #Tatort los?

Amenn dat sülvige, wat ick mi mitunner anhören mutt. Lü, de al siet 20 Johren un langer in Oostfreesland leben, willen mi wiesmaaken, dat se immer noch neet mehr as „Moin“ un „Munterhollen“ verstaahn. Dormit neet genug, sünd se ok noch düll, wenn Oostfreesen jüst dat van hör verwachten. Denn sitten se to rachen, over „diese verstockten Ostfriesen“, de na hör Meenen neet weeten, wat sück in Umgang mit Togereisten hört. Ja Mann, well is hier nu „verstockt“? Platt is woll en Spraak för sück, man ok keen Geheimnis, wenn’n good tohöört.

Uns Platt is immer mehr Hoch

Denn faaten wi uns doch an d’ egen Nös: För ’n Bült Plattproters is vandaag en Filapper al en Schmetterling, Immen sünd nu Bienen un ut de Kumm is en Schötel worden. Kickst du noch up Klock, of all up Uhr? Un wenn en an di seggt, dat he wat „good naavolltrekken“ kann, denn wunnerst di ook neet mehr. Wat ik meen: In uns Platt is immer mehr Hoch, un to glieker Tied geiht dat dormit liek andaal.

Mittleverlaa is d’r haast nüms mehr in uns Redaktion, de Platt proot. För en „Ostfriesen-Zeitung“ neet alltovööl. Gifft en of anner Kolleeg, de kunn, man will neet. Wat sallt dor van maaken? Letzt hebb ick Reinhard Goltz van dat Institut für Niederdeutsche Sprache in Bremen fraagt, worum enig Minschen neet waagen, wat up Platt to seggen. He is de Meenen, dat wi doran sülvst Schuld sünd. Hebben wi Annern to faaken utlacht, as dat Platt bi hör wat roar klungen hett? Oostfreesen könen Dwarsbüngels wesen, wenn’t um hör Spraak geiht. De quarken dorvan, dat de anner Lü van’t Klei (of Sand of Moor of Fehn) dat neet rechtschaapen könen. So, nu kummst du, wo wullt du denn Hochdüütschen ankleien, dat se sück dormit erst heel neet ofgeven willen?

Ik geev de Hoop nee up, dat wi för uns Platt de Dreih finnen. Sünd ja neet all Togereisten so dieskoppig. Wat ik mi heel neet denken kann: Dat dat irgendwenner en Tatort up Platt gifft. Un wenn, denn mussen d’r woll doch Unnertitels her.

Nun auf Hochdeutsch

Am Sonntagabend sitze ich meistens mit meinem Tablet vorm Fernseher. Tatort ohne Twitter, das gibt es für mich nicht mehr. Kommt der Krimi aus Wien oder München, lese ich da, dass Leute tatsächlich Untertitel verlangen. Da verstehe ich die Welt nicht mehr: In den Sendungen sprechen doch schon alle Hochdeutsch! Sprächen die Wiener und Münchner echten Dialekt, was wäre dann auf Twitter unter #Tatort los?Womöglich dasselbe, was ich mitunter zu hören bekomme. Leute, die 20 Jahre oder länger in Ostfriesland leben, behaupten, dass sie nicht mehr Platt verstehen als „Moin“ oder „Munterhollen“. Als wäre das nicht genug, beschweren sie sich noch, wenn Ostfriesen genau das von ihnen erwarten. Dann ziehen sie über „diese verstockten Ostfriesen“ her, die ihrer Meinung nach nicht wissen, wie man Zugereiste behandeln sollte. Ja klar, und wer ist hier „verstockt“? Plattdeutsch ist eine Sprache für sich, aber kein Geheimnis, wenn man gut zuhört.

Mit unserm Platt geht es bergab

Denn seien wir doch ehrlich: Für viele Plattsprecher ist aus dem Filapper ein Schmetterling geworden, die Immen sind jetzt Bienen und statt Kumm heißt es Schötel. Siehst du noch auf die Klock oder schon auf die Uhr? Wenn jemand sagt, dass er etwas „good naavolltrekken“ kann, wundert sich keiner mehr. Was ich sagen will: Unser Platt ist ganz schön Hoch geworden, gleichzeitig geht es mit ihm steil bergab.

Mittlerweile gibt es in unserer Redaktion fast niemanden mehr, der Platt spricht. Für eine „Ostfriesen-Zeitung“ nicht gerade viel. Es gibt Kollegen, die könnten es, aber wollen nicht. Kürzlich habe ich Reinhard Goltz vom Institut für Niederdeutsche Sprache gefragt, warum sich manche Menschen nicht trauen, etwas auf Platt zu sagen. Er denkt, dass wir daran selbst schuld sind. Haben wir Andere zu oft ausgelacht, weil deren Platt so seltsam klang? Ostfriesen stellen sich ziemlich an, wenn es um ihre Sprache geht. Sie maulen schon, dass die anderen Leute von der Küste (oder Geest oder Moor oder Fehn) nicht richtig Platt sprechen. Und nun? Wie soll man dann erst Hochdeutschen vorwerfen, dass sie sich ans Plattdeutsche nicht herantrauen?

Die Hoffnung, dass wir unser Platt retten können, habe ich nicht verloren. Es sind ja nicht alle so ignorant wie manche Zugereisten. Was ich mir gar nicht vorstellen kann: Dass es mal einen Tatort auf Platt geben wird. Und wenn, dann bräuchte man tatsächlich Untertitel.

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