Lissabon (dpa)

„Missão Final“ geht weiter: RB Leipzig entzaubert Atlético

Arne Richter und Stefan Tabeling, dpa
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Von Arne Richter und Stefan Tabeling, dpa
| 13.08.2020 23:08 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Nagelsmann gegen Tuchel - das deutsche Trainer-Duell im Halbfinale der Champions League ist perfekt. RB Leipzig schafft mit einer starken Vorstellung die Überraschung gegen Liverpool-Bezwinger Atlético. Es geht auch ohne Timo Werner.

Grandioser Start in die „Missão Final“: RB Leipzig hat das Abwehrbollwerk von Atlético Madrid auf dem Weg zum erhofften Champions-League-Coup eindrucksvoll geknackt.

Im ersten Spiel ohne den nach London gezogenen Torgaranten Timo Werner setzte sich der Fußball-Bundesligist mit einer couragierten und reifen Leistung gegen die enttäuschenden spanischen Defensivkünstler mit 2:1 (0:0) durch und fordert nun im Halbfinale am Dienstag Paris Saint-Germain um Weltmeister Kylian Mbappé und Superstar Neymar.

Dani Olmo (51. Minute) und der eingewechselte Tyler Adams (88.) erzielten am Donnerstagabend im Estádio José Alvalade von Lissabon die Tore für die Sachsen, die die sonst so effizienten Spanier auch taktisch entzauberten. Den zwischenzeitlichen Ausgleich markierte João Félix per Foulelfmeter (71.). Elf Jahre nach der Vereinsgründung erreichte Leipzig damit erstmals ein Semifinale im Europapokal. Für Julian Nagelsmann steht gegen PSG nun als letzte Hürde vor dem Königsklassen-Endspiel am 23. August auch das interessante deutsche Trainer-Duell mit Thomas Tuchel an.

Nagelsmann war nach dem Sieg „stolz auf die Jungs“ und sprach von einer „leidenschaftlichen“ Vorstellung. „Es war schon sehr abgezockt. Ich kann mich nicht erinnern, dass Atlético gefährliche Situationen hatte“, sagte Nagelsmann und freute sich auf das Duell mit Tuchel: „Das ist eine Top-Mannschaft mit einem Top-Trainer.“ RB brauche wieder eine Top-Leistung gegen Paris, um ins Finale zu kommen.

Und vielleicht wieder einen Joker wie Adams. „Ich bin eigentlich nicht der Torjäger. Ich wollte da sein, wenn ich gebraucht werde. Es macht mich stolz, was uns gelungen ist. Jeder hat alles gegeben“, sagte Matchwinner Adams. Auch Marcel Sabitzer war überglücklich. „Das war ein hartes Stück Arbeit. Wenn man die 90 Minuten sieht, gehen wir verdient als Sieger vom Platz. Wir haben eine Top-Leistung gezeigt. Wir sind nach dem 1:1 ruhig geblieben und haben auf unsere Chance gewartet“, meinte Sabitzer und blickte bereits auf das PSG-Spiel: „Wir wissen, was für eine brutale Qualität da kommt. Die haben Einzelspieler auf dem Platz, die hat kaum eine Mannschaft.“

„Mutigen Fußball“ hat Nagelsmann angekündigt und auch Wort gehalten. Bei besten sommerlichen Bedingungen - vom Atlantik wehte eine leichte Brise - trat RB körperlich robust in den Zweikämpfen auf und überraschte mit schnellem Offensivfußball den Champions-League-Finalisten von 2014 und 2016. Einzig der letzte Pass fehlte häufig, was Nagelsmann an der Seitenlinie verärgerte. Vielleicht lag es auch daran, dass Torgarant Werner nicht mehr als Abnehmer zur Verfügung stand. Es sollte ein Schönheitsfehler bleiben, denn das Kollektiv funktionierte wie schon in der abgelaufenen Liga-Saison.

Im ersten Königsklassen-Viertelfinale der Club-Geschichte zeigten die Leipziger keinen Respekt vor großen Namen und hatten auch die erste Torchance. Nationalspieler Marcel Halstenberg, der trotz seiner Rückenprobleme spielte, setzte einen Volleyschuss über das Tor (4.). In der Anfangsphase wirkte Atlético, das mit der Referenz von 18 Pflichtspielen ohne Niederlage hintereinander angereist war, dagegen überfordert mit der Zielstrebigkeit der Sachsen.

Schon die Vorbereitung auf das Spiel war bei den Madrilenen holprig verlaufen. Während sich RB fünf Tage lang in Portugal gezielt auf das Duell vorbereiten konnte, hatten die Colchoneros die zwei positiven Corona-Tests von Angel Correa und Sime Vrsaljko beschäftigt. Das Team von Diego Simeone verlor dadurch nicht nur zwei Spieler, sondern traf auch erst am Dienstag in Lissabon ein.

Im Gegensatz zu seiner Mannschaft war Simeone gleich auf Betriebstemperatur. Wild gestikulierend war die Coaching-Zone für den Argentinier wieder einmal zu klein - die erste Ermahnung vom vierten Offiziellen gab es schon nach sechs Minuten. Mit etwas Verspätung fand auch seine Mannschaft ins Spiel. Bei einem Kopfball von Stefan Savic hatte RB-Keeper Peter Gulacsi einige Probleme (10.). Souveräner wirkte der Keeper bei einem strammen Schuss des Belgiers Yannick Carrasco (13.). Dazu hatte der Keeper Glück, dass eine Berührung gegen Saul nicht vom Video-Schiedsrichter nachträglich geahndet worden war.

Ansonsten ließ RB nicht viel zu. Abwehrchef Dayot Upamecano, der gerade seinen Vertrag bis 2023 verlängert hat, dirigierte dabei nicht nur umsichtig seine Vorderleute, sondern sorgte auch bei Standards für Gefahr. In der Offensive bekam Club-Urgestein Yussuf Poulsen die Rolle des Werner-Ersatz, Patrik Schick saß dagegen angeschlagen auf der Bank. Der Däne hatte gegen die robuste Atletico-Defensive seine Probleme.

Gleiches Bild auch in der zweiten Halbzeit. Leipzig agierte frecher und frischer - und belohnte sich selbst. Nach Flanke von Marcel Sabitzer traf Olmo gegen seine Landsleute per Kopf. Kaum zu glauben, dass diese biedere Madrider Mannschaft im März noch Titelverteidiger FC Liverpool und Jürgen Klopp aus dem Wettbewerb befördert hatte.

Simeone reagierte und brachte den portugiesischen Jungstar Félix für die Kreativabteilung ins Spiel. Ein Schachzug, der aufging. Zwölf Minuten nach seiner Einwechslung holte der schnelle Félix gegen Lukas Klostermann einen Elfmeter heraus, den er selbst verwandelte. Doch Leipzig schlug zurück - mit Glück. Ein abgefälschter Schuss von Adams fand den Weg ins Tor.

© dpa-infocom, dpa:200813-99-160524/5

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