München (dpa)

Zum 75. Geburtstag: Ein Helles auf Fassbinder

Gunther Matejka, dpa
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Von Gunther Matejka, dpa
| 30.05.2020 12:13 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Vor 75 Jahren wurde Rainer Werner Fassbinder geboren. Er starb jung. An den wichtigsten Vertreter des „Neuen Deutschen Films“ erinnert sich der Filmnachwuchs heute kaum mehr. Ein Vorbild bleibt er dennoch.

Rastlos, ruhelos, provokant - aber auch genial. Der deutsche Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler und Filmproduzent Rainer Werner Fassbinder prägte den „Neuen Deutschen Film“ wie kein anderer. Am 31. Mai wäre Fassbinder 75 Jahre alt geworden.

Er starb mit nur 37 Jahren am 10. Juni 1982 in München. Sein künstlerisches Vermächtnis ist beeindruckend: Über 40 Spielfilme gehen auf sein Konto, außerdem Theaterstücke, Hörspiele und Drehbücher. „Fassbinder hat in extremer Geschwindigkeit gedreht“, sagt Medienwissenschaftlerin Michaela Krützen, Professorin an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF), im Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur, „alles ging bei ihm schnell, schnell, schnell.“

Eine Arbeitsweise, die ihn auszeichnete - die aber im krassen Gegensatz zum heutigen Filmemachen steht. „Heute doktorn viele Studierende an zehnminütigen Filmen länger herum, als es Fassbinder mit einem ganzen Spielfilm gemacht hat“, sagt sie. Mit seiner Arbeitsweise und Ästhetik wäre Fassbinder sicher kein Kandidat für heutige Streaming-Formate. Und auch in Hollywood würde sie den gealterten Film-Rebell nicht sehen, denn: „Er wäre sich wohl treu geblieben und hätte Underground-Filme gemacht.“

Für ihre heutigen Studenten und Studentinnen sei Rainer Werner Fassbinder kein Vorbild, sagt Krützen. Die meisten kennen ihn nicht einmal mehr. „Das sind junge Menschen, die sind mit Tarantino aufgewachsen“, sagt die Dozentin. Nur drei bis vier von 100 Studenten würden anfangs einen Film von Fassbinder kennen - was sich allerdings im Laufe des Studiums ändere. Pro Semester stellt Krützen einen Regisseur vor - und für die siebziger Jahre steht stellvertretend Fassbinder.

„Man muss ihn in die Herzen pflanzen“, sagt sie. Das geschehe zum einen durch das Zeigen seiner Filme (besonders geeignet: „Angst essen Seele auf“), Vorlesungen und: durch ein gepflegtes Helles nach Unterrichtsschluss. „Nach der Vorlesung gehen wir alle immer in Fassbinders Münchner Stammlokal `Die deutsche Eiche' und trinken ein Bier auf ihn.“

Das wirkt. Auch in Bezug auf die Wahrnehmung des deutschen Regisseurs. Auf diese Weise fänden die angehenden Filmschaffenden einen persönlichen Zugang zu dessen Arbeitsweise - und könnten seine unvergleichliche Handschrift erkennen. Dass es Fassbinder gelang, große Emotionen mit sozialem Engagement zu verknüpfen, begeistere schließlich dann auch ihre Studenten, sagt die Professorin.

Rainer Werner Fassbinder wuchs nach der Scheidung seiner Eltern zunächst bei seiner Mutter auf. Mit 16 Jahren brach er die Schule in Augsburg ab und zog zu seinem Vater nach Köln. Zu dieser Zeit verfasste er erste Theaterstücke, Gedichte und Film-Ideen. Nach einer zweijährigen privaten Schauspielausbildung bewarb er sich vergeblich an der Münchner Schauspielschule und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Somit produzierte er als Autodidakt 1966 erste Kurzfilme, ein Jahr später trat er dem Action Theater bei, wo er bald auch Regie übernahm - und wo er mit seinem späteren Star Hanna Schygulla erstmals arbeitete.

Der Rest ist eines der umfangreichsten und erfolgreichsten Kapitel deutscher Film- und Fernsehgeschichte. Mit Filmen wie „Angst essen Seele auf“, „Die Ehe der Maria Braun“, „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ und „Lola“ feierte er internationale Erfolge.

Bis heute genießt Rainer Werner Fassbinder hohes Ansehen in der globalen Filmindustrie. Das sagt zumindest Fassbinder-Experte Manuel Zaefferer von der Münchner Volkshochschule: „Sein unermüdlicher Wille zur filmischen Innovation hat große Wellen in der internationalen Filmwelt geschlagen.“ Ein Einfluss, der bis heute spürbar sei. So würden die 360-Grad-Kamerafahrten, die Fassbinder gemeinsam mit seinem Kameramann Michael Ballhaus entwickelt hat, regelmäßig in Hollywood-Blockbustern imitiert, und andere, für ihn typische Kameraeinstellungen hießen an amerikanischen Filmschulen schlicht „Fassbinder-Shots“. Dass darüber hinaus die Regie-Legende Martin Scorsese bekennender Fassbinder-Fan ist, festige dessen posthumen Ruf.

Umso bedauerlicher ist es da für Zaefferer, dass Fassbinders Einfluss auf heutige deutsche Filmemacher eher gering sei. „Fassbinder-Filme sind provokant, gesellschaftskritisch und emotional - diese Merkmale vermisse ich in vielen heutigen deutschen Filmen“, sagt er und schickt die Gründe dafür hinterher: „Zum einen schrecken viele der heutigen deutschen Filmemacher vor großen, unironischen Gefühlen zurück. Zum anderen muss das deutsche Filmförderungssystem genannt werden, mit dessen Hilfe Fassbinder die meisten seiner Filme finanzieren konnte.“ Heute würden, so mutmaßt Zaefferer, vorwiegend Filme gefördert, die auch kommerziellen Erfolg versprächen.

Fassbinder-Filme seien da schon ein anderes Kaliber: Filme, die nicht nur unterhalten wollen. „Sie stellen Fragen, sie provozieren, sie rütteln uns auf und - vielleicht am wichtigsten - sie berühren uns emotional“, sagt Zaefferer. Die Fassbinder Foundation kümmert sich um das kreative Erbe des Künstlers. Außerdem würden seine Filme immer wieder im Rahmen von Retrospektiven auf großer Leinwand gezeigt, um dort ihre ganze Sogkraft zu entfalten, freut sich Zaefferer.

Wenn Fassbinder heute noch leben würde: Würde er dann immer noch Filme drehen? Zaefferer antwortet mit einer Gegenfrage: „Fassbinder hat in seinen Filmen angeprangert, was er als schädlich für die Gesellschaft empfand. Beispielsweise Rassismus, Intoleranz, Homophobie, Sadismus, das heuchelnde Bürgertum, Sexismus, Fremdenfeindlichkeit, ungebremsten Kapitalismus oder emotionale Grausamkeit. Was meinen Sie, würde er heute noch Stoff für seine Filme finden?“

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