Wiesmoor

Wenn ein geliebter Mensch leidet

Vera Vogt
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Von Vera Vogt
| 28.12.2019 11:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Für Angehörige sind psychische Erkrankungen eines geliebten Menschen nur schwer zu ertragen. In Wiesmoor bieten die Treffen der Dwarsloopers Betroffenen und ihren Angehörigen eine Auszeit. Die Ehefrau eines Besuchers erklärt, was sie sich von den Treffen verspricht.

Wiesmoor - „Hier können wir unsere Krankheiten auch mal kurz vergessen“, sagt ein Besucher der Frühstücksrunde der Kontaktstelle Dwarsloopers für psychisch Erkrankte. Um einen langen Tisch sitzen jeden Dienstag in den Räumen der Diakonie in Wiesmoor rund 15 Menschen. Sie trinken Tee und tauschen sich aus. Dabei kann es um ihre psychischen Probleme gehen,  muss es aber nicht. Eine Besucherin sagt, was gegen Erkältung hilft: „Japanisches Minzöl ist super bei verstopfter Nase“, sagt die blonde Frau. Sie spricht in der Runde frei und locker, möchte aber nicht mit ihrem Namen in der Zeitung stehen. Und sie erklärt auch, warum: „Ich weiß, dass man mit seiner psychischen Krankheit am besten offen umgehen sollte. Manche Promis machen das toll. Aber mir fehlt der Mut.“ Es werde einfach zu viel getratscht auf dem Land.

Ein Mann, der einen leuchtend roten Pullover trägt, pflichtet ihr bei: In seinem Leben sei es häufiger vorgekommen, dass Menschen seine Depressionen nicht nachvollziehen konnten. Dass sie sagten, er solle sich zusammenreißen oder ihn sogar mieden. „Dabei sollte eine Depression genau so normal behandelt werden, wie ein gebrochener Fuß“, sagt der Mann. Die anderen am Tisch nicken. Als psychisch Erkrankte teilen sie alle den Wunsch, verstanden zu werden.

Angehörige leiden oft unter unberechtigten Schuldgefühlen

„Ich bin hier, weil ich wiederum meinen Mann besser verstehen will“, schaltet sich eine Frau am Kopfende des Tisches ein. „Wenn ich hier mit den anderen spreche und wir Erfahrungen vergleichen können, fällt es mir vielleicht leichter, seine Depression zu verstehen“, sagt sie. Sie habe häufig das Gefühl, nicht zu wissen, was sie ihm gegenüber sagen dürfe. Ein Vorkommnis habe sie besonders belastet. Ein trivialer Streit über die Hausarbeit – wie er in jeder Partnerschaft wahrscheinlich schon vorgekommen ist – hat bei ihr und ihrem Mann eine Katastrophe herbeigeführt. „Ich sagte ihm, er solle mit dem Staubsaugen warten, bis ich die Betten bezogen habe. Sonst könnte man ja wieder von vorne anfangen“, erinnert sie sich. „Das hat wohl bei ihm etwas ausgelöst“, sie senkt ihren Blick und stockt. Ihr Mann übernimmt: „Ich habe damals einen Suizidversuch mit Tabletten gemacht.“ „Das dürfen Sie nicht auf sich beziehen“, rät Annemaria Bünting vom Landkreis Aurich der Frau am Kopfende des Tisches. Die Krankheit, nicht der Streit, sei der Grund für den Suizidversuch. Angehörige leiden oft unter unberechtigten Schuldgefühlen, fügt sie hinzu. Um die Angehörigen und die Betroffenen zu unterstützen, ist Annemaria Bünting als Beraterin bei den Frühstücks- und Teerunden in Wiesmoor immer dabei. „Die Besucher besprechen hier alles, was sie bewegt. Es kann mit den Erkrankungen zu tun haben, muss es aber nicht“, sagt sie.

Wichtig sei immer, „dass die Besucher mit einem helleren Gemüt wieder gehen, als sie gekommen sind“, sagt Bünting. Dass die Teilnehmer zu großen Teilen schon lange die Frühstücksrunde aufsuchen, zeigt: es funktioniert. „Ich komme seit einem halben Jahr hier her“, sagt ein Mann mit kurzem Haar. Er habe in der Zeit nur ein oder zwei Termine verpasst. „Es ist immer eine schöne Runde. Jeder ist willkommen“, fügt er hinzu. „Platz ist in der kleinsten Hütte.“ Der Raum ist tatsächlich recht eng und mit den Besuchern gut gefüllt. Die Dwarsloopers-Gruppe hat dort keine eigenen Räume.

Trost zum Abschied

Einmal im Monat gibt es zusätzlich zum Tee für einen Obolus der Besucher auch ein Frühstück. Für den Großteil der Kosten kommt der Förderverein der Dwarsloopers durch Spenden und Mitgliederbeiträge auf. OZ-Leser können in diesem Jahr bei der Weihnachtsaktion für den Förderverein spenden.

Am Ende eines jeden Frühstücks werden bei den Dwarsloopers die übriggebliebenen Brötchen verteilt. Dann machen sich alle auf den Weg nach Hause. Allerdings gehen viele der Besucher nicht, ehe sie am Kopfende des Tisches waren. Hier umarmen sie die Ehefrau des Mannes mit Depression oder klopfen ihr auf die Schulter. Denn sie verstehen, was sie fühlt.

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