Was Sie heute wissen müssen

Missbrauch eines Verbrechens | 30.000 Euro Spenden | Reiserückkehrer

Joachim Braun
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Eine Kolumne von Joachim Braun
| 28.07.2021 06:26 Uhr | 12 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Das Wichtigste aus der Region, jeden Morgen um 6.26 Uhr zusammengefasst von der Chefredaktion der Ostfriesen-Zeitung.

Von Bild bis zum Putin-Portal Russia Today, vom Münchner Merkur bis zu T-Online und RTL (die Links finden Sie bei Google), bundesweit gab es gestern ein ostfriesisches Thema, das durch die Decke ging - und das für allerlei Zwecke missbraucht wurde: die am Montagnachmittag von der Polizei mitgeteilte Vergewaltigung einer jungen Frau durch drei ebenfalls junge Tatverdächtige. Weil deren Herkunft syrisch und irakisch ist, entfacht sich nicht nur der Volkszorn, das furchtbare Verbrechen wird auch missbraucht. Denn dazu kommt, dass alle drei mutmaßlichen Täter nach kurzer U-Haft wieder auf freiem Fuß sind. Nach den Regeln unseres Rechtsstaats bedeutet dies, dass keine Fluchtgefahr besteht, weil die jungen Männer bei ihren Familien leben und/oder einen festen Arbeitsplatz haben. Nach der Beschwerde der Staatsanwaltschaft widerruf das Amtsgericht Leer gestern diese Entscheidung - aber die Empörung blieb.

RTL Nord zitiert Nachbarn, die sie befragt haben, die von Partys mit viel Alkohol berichten. Was für eine Aussage. Und auf Bild.de erklärt Claus Strunz, wie es dem Vergewaltigungsopfer geht und zieht politische Schlüsse aus dem Verbrechen. In welcher Gesellschaft leben wir hier? Gar nicht zu reden von der AfD Ostfriesland, die das furchtbare Verbrechen (ich wiederhole mich) gestern ebenfalls nutzte, um politisch zu agitieren.

Natürlich kann man kritisieren, dass die OZ erst gestern, nachdem es die Polizei offiziell bestätigt hatte, die Nationalität der Tatverdächtigen nannte (aber macht das diese Gewalttat schlimmer, als wenn es Deutsche gewesen wären?). Aber: Das schreibt uns der Pressekodex vor, der die ethische Grundlage für unsere Arbeit ist. Und natürlich wollen wir nicht spekulieren, was anderen Medien - die nicht die räumliche Nähe haben, wie wir oder mit Rücksichtslosigkeit ihr Geld verdienen - völlig egal ist. Den Stand des Wissens bis gestern Abend hat Vera Vogt jedenfalls hier zusammengefasst. Und warum es nur eine richtige Berichterstattung in solch einer Situation geben kann, nämlich die mit Respekt für das Opfer, hat Karsten Krogmann, der Kommunikationschef des Weißen Rings, gestern im Gespräch mit Nikola Nording beantwortet. Wenn Ihnen der Name Krogmann bekannt vorkommt: Er hat viele Jahre als Investigativreporter für unsere frühere Partnerzeitung NWZ gearbeitet.

Ganz ehrlich? Dieses Thema hat mich gestern den ganzen Tag beschäftigt. Natürlich juckt es mich als Journalist in den Fingern, alle Details der Tat zu recherchieren, ja, durchaus auch mit Nachbarn zu sprechen und herauszufinden, was am Tatabend passiert ist. Andererseits sehe ich auch die Opferperspektive. Was macht es mit der jungen Frau, wenn sie Schilderungen eines so traumatischen Erlebnisses, das sie mutmaßlich ihr ganzes Leben nicht mehr loslässt, in der Zeitung liest, wohlwissend, dass tausende Menschen daran ihr voyeuristisches Interesse befriedigen. Und die politische Komponente dieses Falls, die ärgert mich wirklich. Wie subtil (bei Russia Today) oder ganz plump bei der AfD Ostfriesland diese Tat als Bestätigung instrumentalisiert, dass Flüchtlinge eine Gefahr für unsere Gesellschaft sind. Als ob deutsche Jungs nicht zur Vergewaltigung fähig wären.

Anderes Thema: Über 30.000 Euro waren bis gestern schon auf unseren Spendenkonten zugunsten der Hochwasseropfer in der Region Aachen, in Eschweiler und Stolberg, eingegangen. Das macht uns stolz und zeigt die Mildtätigkeit unserer Leser. Wie die Lage vorort gerade ist, das schildern uns hier Reporter der Aachener Zeitung. Warum wir mit den Aachener Kollegen zusammenarbeiten, welche Bedeutung die gGmbH „Ein Herz für Ostfriesland“ hat, und warum jeder Spendeneuro auch bei den Flutopfern ankommt, lesen Sie in diesem Frage-und-Antwort-Stück, das ich gestern geschrieben habe.

Vor Ort im Aachener Umland sind auch Andrea Bunjes und ihre Quadengel Ostfriesland. Mit einem Hilfskonvoi brachten sechs Mitglieder der Quadengel Ostfriesland am Wochenende reichlich Babynahrung und Windeln sowie haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel und 2000 Liter Trinkwasser in die Region um Eschweiler und Stolberg. Im Gespräch mit Susanne Ullrich berichten sie, was sie im Katastrophengebiet erlebt haben.

Es mag angesichts der Katastrophe vermessen klingen, aber von „Flut“ sprechen auch die ostfriesischen Gesundheitsämter, die sich derzeit durch die Einreiseanmeldungen von ostfriesischen Reiserückkehrern arbeiten müssen. Es geht um Tausende Unterlagen, die im Detail geprüft werden müssen. Für ganz Ostfriesland sind damit lediglich 15 Corona-Infektionen verbunden. Daniel Noglik, gerade selber von einer Urlaubsreise zurückgekehrt, hat gestern nachgefragt.

Es wird wohl noch ziemlich lange dauern, bis die genauen Ursachen für den Flugzeugabsturz am Montag nahe Norderney feststehen. Die ersten Wrackteile, darunter ein großer Teil des Rumpfes der Cessna, wurden gestern nach Norddeich gebracht. Cockpit und Motor befanden sich gestern allerdings noch unter Wasser. Was jetzt im Detail passiert mit dem Wrack und wer alles mitmischt bei der Suche nach der Unfallursache, das hat Michael Hillebrand erfragt.

Was heute wichtig wird:

  • Die geplante Reaktivierung des Bahnhaltepunktes Ihrhove zieht sich hin. Momentan läuft aber eine öffentliche Beteiligung im Zuge des Planfeststellungsverfahrens. Baubeginn ist trotzdem nicht vor 2024, schreibt Karin Lüppen.
  • Telefonseelsorge in Zeiten von Corona. Die Pandemie hat vieles verändert: die Themen, die Anrufer, die Arbeitsbedingungen. Das hat Marion Luppen im Gespräch mit einer Telefonseelsorgerin aus dem Landkreis Aurich erfahren.
  • Jonny Vestering ist ein Langeooger Original: Tagtäglich steigt er mehr als 400 Stufen den Wasserturm rauf und runter. Dabei ist er schon 84 Jahre alt und kann fast nichts mehr sehen. Vom Erzählen hält das den Turmwärter aber nicht ab, hat Susanne Ullrich erfahren.
  • Mit der Neutorstraße in eine der wichtigsten Verkehrsachsen in der Emder Innenstadt seit Monaten halbseitig gesperrt. Wegen einer Groß-Baustelle. Wie lange eigentlich noch? Gordon Päschel fragt nach.

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